Ich empfinde den oft schimpfenden,nein, er schimpft nicht, also : den verunglimpfenden Bernhard paradoxer Weise als hell und klar in seiner Stimmung; heller noch, strahlend; gleich einem Denk ich an Österreich übertag. Die helle Lebensfreude springt aus Bernhards Zeilen, wenn er zementgrau über Österreich schreibt, als fülle er den Graben zwischen der Zeit Nestroys und Musils Kakanien(Der Mann ohne Eigenschaften), Karl Krauss´ und Elfriede Jelinek. Thomas Bernhard schließt alle Lücken. Seine Prosa fließt in alle Hohlräume, Spülbecken, Abflüsse, Rinnsteine, aus der Bernhardschen Pandorabüchse strömend ohne Unterlass, tiefste gesellschaftliche Schichten nicht scheuend, alles füllend, geduldig jede Ungleichheit kompensierend, geradezu ideal-sozialistisch, physikalisch. Daher ist es unnötig, Thomas Bernhard öffentlich in Lehranstalten zu rezipieren. Ihn vorzuführen taugt nicht zum selbständigen Denken, es tötet dieses, wenn man ihn erklärt. (Bernhard über Schulen: „Menschenverunstaltungsanstalten“ ...und 1985 in „Alte Meister“,S.53 : "Die Lehrer sind die Handlanger des Staates und wo es sich wie bei diesem österreichischen Staat heute um einen geistig und moralisch total verkrüppelten handelt, um einen, der nichts als die Verrohung und Verrottung und das gemeingefährliche Chaos lehrt, sind naturgemäß auch die Lehrer geistig und moralisch verkrüppelt und verroht und verrottet und chaotisch.")
Man sollte meiner Meinung nach Stücke über Thomas Bernhard an Schulen aufführen. Ja, es sollte vermieden werden, Thomas Bernhard in Lehrpläne einzulassen, Grabsteinen in Urnenfeldern gleich. Kompensiert werden kann dieses durch Simulationen. Meines Erachtens auch durch Plakate von Aufführungen, die es nicht geben wird, in Form von Fiktionen zu Thomas Bernhard.
" Im Grunde wissen in den Jahren der Lebensmitte wenig Menschen mehr, wie sie eigentlich zu sich gekommen sind, zu ihrem Charakter, Beruf und ihren Erfolgen, aber sie haben das Gefühl, das sich nun nicht mehr viel ändern kann. Es ließe sich sogar behaupten,daß sie betrogen worden seien, denn man kann nirgends einen zureichenden Grund dafür entdecken, daß alles gerade so kam, wie es gekommen ist; es hätte auch anders kommen können; die Ereignisse sind ja zum wenigsten von ihnn selbst ausgegangen, meistens hingen sie von allerhand Umständen ab, von der Laune, dem Leben, dem Tod ganz anderer Menschen, und sind gleichsam bloß im gegebenen Zeitpunkt auf sie zugeeilt. So lag in der Jugend das Leben noch wie eine unerschöpflicher Morgen vor ihnen, nach allen Seiten voll von Möglichkeit und Nichts, und schon am Mittag ist mit einemmal etwas da, das beanspruchen darf, ihr Leben zu sein, und das ist im ganzen doch so überraschend, wie wenn eines Tags plötzlich ein Mensch dasitzt, mit dem man zwanzig Jahre lang korrespondiert hat, ohne ihn zu kennen, und man hat ihn sich ganz anders vorgestellt. Noch viel sonderbarer aber ist es, daß die meisten Menschen das gar nicht bemerken; sie adoptieren den Mann, der zu ihnen gekommen ist, dessen Leben sich in sie eingelebt hat, seine Erlebnisse erscheinen ihnen jetzt als der Ausdruck ihrer Eigenschaften, und sein Schicksal ist ihr Verdienst oder Unglück. Es ist etwas mit ihnen umgegangen wie ein Fliegenpapier mit einer Fliege; es hat sie da an einem Härchen, dort in ihrer Bewegung festgehalten und hat sie allmählich eingewickelt, bis sie in einem dicken Überzug begraben liegen, der ihrer ursprünglichen Form nur ganz entfernt entspricht. Und sie denken dann nur noch unklar an die Jugend, wo etwas wie eine Gegenkraft in ihnen gewesen ist. Diese andere Kraft zerrt uind schwirrt, sie will nirgends bleiben und löst einen Sturm von ziellosen Fluchtbewegungen aus; der Spott der Jugend, ihre Auflehnung gegen das Bestehende, die Bereitschaft der Jugend zu allem, was heroisch ist, zu Selbstaufopferung und Verbrechen, ihr feuriger Ernst und ihre Unbeständigkeit,- alles das bedeutet nichts als ihre Fluchtbewegungen. Im Grunde drücken diese bloß aus, das nichts von allem, was der junge Mensch unternimmt, aus dem Innern heraus notwendig und eindeutig erscheint, wenn sie es auch in der Weise ausdrücken, als ob alles, worauf er sich gerade stützt, überaus unaufschiebbar und notwendig wäre."
aus : Robert Musil „Der Mann ohne Eigenschaften“, Band 1, Seite 130 ,Rowohlt Taschenbuchaugabe 1978/1987, Erstveröffentlichung 1930